Dr. Saskia Juretzek: Nachhaltigkeit bringt viele Vorteile
Im Interview spricht die CSR-Expertin über ihre Definition von Nachhaltigkeit, ihren Werdegang sowie geschäftliche Vorteile von CSR. Außerdem erklärt Sie, für welche Art von Unternehmen Nachhaltigkeit überhaupt eine Rolle spielen kann.
Warum hast Du dich dafür entschieden, dich dem Thema zu widmen, woher kommt deine Leidenschaft dafür? Und warum findest Du unternehmerische Nachhaltigkeit wichtig?
Saskia Juretzek: Als Kind war ich mit meiner Familie viel im Wald unterwegs, wie auch auf Bauernhöfen, so dass mir Natur und Tiere immer sehr nah waren. Noch heute ist ein Spaziergang in einem naturnahem Wald für mich die totale Erholung. Ich stamme insgesamt aus einem umweltbewussten Haushalt und habe schon früh mitbekommen, wie wichtig Umweltschutz ist. Die Idee, mich mit dem Thema auch beruflich zu beschäftigen, entwickelte sich mit der Zeit und den beruflichen Möglichkeiten. Während meiner Zeit bei Accenture wurde ich Teil der neugegründeten Arbeitsgruppe für Nachhaltigkeit. Das Thema hat mich sofort angezogen, ohne genau zu wissen, was da dahinter steckt.
Um mein Wissen in diesem Bereich zu erweitern und mich beruflich darauf zu fokussieren, entschied ich mich, an der Leuphana Universität Lüneburg zu promovieren. Gleichzeitig startete ich in der Corporate Responsibility Abteilung der Telefonica Deutschland mit Fokus auf die Nachhaltigkeitsstrategie, das Reporting und die Kommunikation. Im Anschluss an die Doktorarbeit ging ich zur Allianz SE, der Zentrale der Allianz Gruppe und beschäftige mich dort mit Strategieentwicklung, den SDGs und Berichterstattung. Für mich persönlich haben gerade große internationale Unternehmen durch ihre Reichweite die Möglichkeit, die Gesellschaft wesentlich positiv zu beeinflussen, Best Practices zu gestalten und das Umfeld zum Nachahmen anzuregen. Das sehe ich auch als eine Pflicht an. Es begeistert mich, Teil der Nachhaltigkeitsbewegung zu sein und diese aktiv mitgestalten zu können.
Immer wieder hört man die Frage „Was ist Nachhaltigkeit eigentlich genau?“
Gibt es die perfekte Corporate Responsibility-Definition?
Die perfekte Corporate Responsibility Definition gibt es aus meiner Sicht nicht bzw. gibt es auch keine einheitliche Definition, die jedem geläufig ist. Ich persönlich bin kein Fan vom Begriff Corporate Social Responsibility, da er rein sprachlich auf „Social“ fokussiert (wenn er auch bspw. durch die EU breiter definiert wird). Corporate Responsibility und Sustainability sind weiter gefasste Begriffe, die soziale, ökologische und ökonomische Aspekte umfassen.
Im Kern geht es darum, den sozialen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen zu begegnen, negative Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit zu minimieren und positive zu erhöhen. Wesentlich für Unternehmen ist es, Nachhaltigkeit intern klar zu definieren und ein einheitliches internes Verständnis zu haben.
In jeder Branche kann CR etwas anderes bedeuten – in der Versicherung geht es bspw. um nachhaltige Produktlösungen und nachhaltige Anlagekriterien für Kundengelder, im produzierenden Gewerbe gegebenenfalls um die Arbeitsbedingungen in der Lieferkette und den Energieverbrauch in der Produktion.
Unternehmerische Nachhaltigkeit ist gesamtgesellschaftlich gesehen unbestritten ein absolutes Kernthema für unsere Zukunftsfähigkeit. Für das einzelne Unternehmen steht jedoch häufig die Gewinnerzielungsabsicht über allen anderen Zielen.
Daher provokant gefragt: Kostet Nachhaltigkeit nur, oder gibt es auch ökonomische Vorteile sich als Unternehmen einer Nachhaltigkeitsstrategie zu verschreiben?
Saskia Juretzek: Provokant geantwortet – betrachtet man Nachhaltigkeit mittel- bis langfristig gibt es nur Vorteile. Es hängt also von der Betrachtungsweise ab, vor allem von der zeitlichen. Klassischerweise treten „trade-offs“ (Zielkonflikte) auf, wenn es um langfristige Investitionen, aber um kurzfristige Renditen geht.
Viele Investitionen in Nachhaltigkeit rechnen sich mittel- bis langfristig, verursachen aber heute Kosten. Kurzfristiges Renditedenken, getrieben von Shareholder-Erwartungen steht hier der Langfristigkeit nachhaltiger Entwicklung entgegen. Natürlich gibt es auch kurzfristige Vorteile und auch Win-Win-Situationen, aber sie sind eben nicht zwangsläufig die Regel.
Neben dem aktuellen Geschäftserfolg sollte ein Unternehmen seine langfristige Geschäftsbasis sichern. Wenn ich bspw. heute meine Böden so auslauge, dass ich sie in zehn Jahren nicht mehr nutzen kann, bringt mich das auf Dauer nicht weiter. Für eine ernsthafte und erfolgreiche Auseinandersetzung mit CR ist eine langfristige Perspektive unabdingbar und auch für ein dauerhaft erfolgreich bestehendes Unternehmen wesentlich.
Nachhaltigkeit steht ökonomischen Vorteilen also nicht entgegen, sondern ist die Basis für erfolgreiches unternehmerisches Handeln.
Unternehmen sind ja bekanntermaßen unheimlich unterschiedlich. Von Ein-Mann-Handwerksbetrieben, über den produzierenden Mittelstand, bis hin zu Großkonzernen, wie der Allianz.
Ist Nachhaltigkeit für alle wichtig, oder reicht es vielleicht sogar, wenn die „Großen“ sich um Zukunftsfähigkeit in ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten kümmern?
Saskia Juretzek: Die Antwort ist für mich recht klar. In Deutschland liegt die Anzahl kleinerer und mittlerer Unternehmen bei mehr als 99%. Es braucht daher alle Akteure, um einen entscheidenden positiven Beitrag zur ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Zukunftsfähigkeit zu leisten.
Aber natürlich spielt die Größe eines Unternehmen eine Rolle. In Großunternehmen stehen mehr Kapazitäten zur Verfügung, der Hebel ist größer und häufig gibt es eigenständige CR-Abteilungen. Letzteres ist sicherlich in einem Zehn-Mann-Betrieb nicht sinnvoll oder umsetzbar. Dennoch können hier Mitarbeiter zusätzliche Aufgaben, beispielsweise rund um Umweltschutz, übernehmen. Die Themen an sich ändern sich nicht zwangsläufig, aber natürlich die Ressourcen, die ich zur Verfügung habe.
Als nicht börsennotiertes Unternehmen habe ich im positiven Sinne mehr Freiraum und kann langfristiger planen als ein quartalsgetriebenes, börsennotiertes Unternehmen. Viele Familienunternehmen sind Nachhaltigkeitsvorreiter, sie denken und planen sehr langfristig, so dass Nachhaltigkeit leichter integrierbar ist – es kommt zu weniger Zielkonflikten zwischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Zielen.
Dr. Saskia Juretzek
ist Head of Sustainability bei der Tengelmann-Gruppe. Seit über zehn Jahren ist sie als CSR-Managerin in Nachhaltigkeitsabteilungen von Großkonzernen aktiv. Sie hat im Bereich Nachhaltigkeit promoviert und bringt sich an diversen Hochschulen und Universitäten in die Lehre ein. Dr. Saskia Juretzek ist darüber hinaus Mitgründerin der Initiative „futurewoman“, die Frauen im Nachhaltigkeitsbereich vernetzt. Außerdem gibt sie in der VERSO Academy ihr umfangreiches Wissen weiter und spricht als Referentin über die Themen CSR-Strategie und CSR in der Organisation.
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