Nachhaltigkeit in der Finanzbranche: Interview mit Mica Valdivia (VÖB)
Interview mit Mica Valdivia (Direktorin des Verbands Öffentlicher Banken Deutschlands) über Sustainable Finance in der Praxis und weitere hochaktuelle Fragen der Finanzbranche.
Zwischen Dezember 2019 und November 2020 haben Anleger fast doppelt so viel in nachhaltige Finanzprodukte investiert wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Dass Sustainable Finance so rasant an Bedeutung gewinnt, liegt neben der steigenden Nachfrage der Anleger:innen nach nachhaltigen Finanzprodukten auch daran, dass zunehmend regulatorische Maßnahmen getroffen werden.
Doch was bedeutet das Thema Sustainable Finance nun in der Praxis? Wie bereiten sich Unternehmen, Banken und Versicherungen nun optimalerweise darauf vor? Warum ist eine gute Datenbasis beim Thema Nachhaltigkeit unerlässlich? Mit Mica Valdivia, Direktorin des Verbands Öffentlicher Banken Deutschlands, der die Interessen seiner Mitgliedsinstitute gegenüber Parlamenten, Regierungen und den Aufsichts- und Regulierungsbehörden vertritt, haben wir über diese und weitere hochaktuelle Fragen gesprochen.
Welche Rolle spielt Sustainable Finance in Ihrem Alltag beim VÖB und in dem Ihrer Mitglieder?
Mica Valdivia: Die Corona-Pandemie hat das Bewusstsein für das Thema Nachhaltigkeit noch einmal geschärft – in der Gesellschaft ebenso wie in der Politik. Das klare Bekenntnis ist wichtig, denn die nachhaltige Transformation der Wirtschaft ist ein gesamtgesellschaftlicher Kraftakt. Dabei spielt auch die Finanzindustrie eine zentrale Rolle.
Bei den Banken gibt es ein klares Bekenntnis, die nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zu unterstützen. Das gilt insbesondere für die öffentlichen Banken, denn Nachhaltigkeit ist Teil ihres gesellschaftlichen Auftrags. Viele nachhaltige Großprojekte, zum Beispiel im Bereich der Energieinfrastruktur, waren und sind ohne die Unterstützung öffentlicher Banken nicht denkbar. Durch ihre Produkt- und Förderangebote sind sie ganz klar Treiber des Umbaus der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit.
Natürlich ist Nachhaltigkeit mit Herausforderungen verbunden. Das sollte aber den Blick für die Chancen nicht versperren. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Taxonomie, also das einheitliche Klassifikationssystem für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten. Die EU-Taxonomie legt fest, dass sich Unternehmen und Finanzinstitute ab Januar 2022 an den Vorgaben der Taxonomie ausrichten müssen, wenn sie von ökologisch nachhaltigen Geschäftsaktivitäten und Finanzprodukten sprechen. Unsere Tochter VÖB-Service hat dazu kürzlich eine Studie in der Bankenbranche durchgeführt. Das Ergebnis war eindeutig: Zwei von drei Banken sind überzeugt, dass sich die neue Taxonomie-Verordnung positiv auf ihr Geschäftsmodell auswirken wird.
Nachhaltigkeit ist ein zentraler Trend, den wir als VÖB und unsere Mitglieder aktiv vorantreiben und begleiten. Entsprechend ist Nachhaltigkeit bei uns längst kein exklusives Thema mehr für den Nachhaltigkeitsbericht oder die Unternehmenskommunikation, sondern Chefsache. Es lohnt, sich hier strategisch aufzustellen – und das tun unsere Mitglieder.
Gibt es Best Practices?
Mica Valdivia: Zu nennen sind beispielsweise die Nachhaltigkeitsleitlinien der NRW.BANK, die ihr Produkt- und Dienstleistungsportfolio auf das Ziel der weitgehenden Klimaneutralität im Jahr 2050 ausrichtet. Dies betrifft sowohl das Fördergeschäft als auch die Anlagepolitik der Bank.
Auch die zum BayernLB Konzern gehörende DKB hat sich mit ihrer Nachhaltigkeitsstrategie ehrgeizige Ziele gesetzt. Mit klaren Kennzahlen (sog. Key Performance Indicator/KPI) sollen 80 Mrd. Euro bzw. 85 Prozent des Kreditbuchs bis zum Jahr 2030 an den Sustainable Development Goals (SDGs) ausgerichtet werden.
Die Landesbank Baden-Württemberg setzt u. a. mit ihrer an ihren strategischen Nachhaltigkeitszielen ausgerichteten Vergütungspraxis ein weiteres wichtiges Best Practice Beispiel.
Die öffentlichen Banken müssen gleichwohl die Wirtschaft in der Breite bei der Transformation ihrer Geschäftsmodelle begleiten und dürfen dabei die Zielkonflikte innerhalb der verschiedenen Nachhaltigkeitsziele nicht aus den Augen verlieren.
Welche Veränderungen regulatorischer Art sehen Sie in Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit auf die Finanzbranche zukommen und wer wird besonders betroffen sein?
Mica Valdivia: Der Gesetzgeber hat früh erkannt, dass die Finanzindustrie bei der nachhaltigen Transformation der Wirtschaft eine zentrale Rolle spielt, denn Banken und Investoren haben Einfluss auf die Steuerung von Geldströmen. Entsprechend hat die EU-Kommission bereits 2018 einen Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzwesen vorgestellt. Der Aktionsplan hat der Sustainable Finance Regulatorik durch zahlreiche neue Gesetze und Vorschriften eine enorme Dynamik verliehen. Von diesen Regelungen sind sowohl Finanzinstitute als auch Unternehmen betroffen. Entweder direkt wie durch die schon genannte Taxonomie-Verordnung oder indirekt wie bei der Verordnung über die Offenlegung nachhaltigkeitsbezogener Daten im Finanzdienstleistungssektor.
Aber auch durch die den Gesetzen folgenden Maßnahmen der Aufsichtsinstanzen werden Finanzinstitute angehalten, Nachhaltigkeitskriterien (ESG) in ihren Prozessen grundlegend zu durchdenken und zu integrieren. So hat beispielsweise die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrem Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken die Grundlage für einen aufsichtlichen Dialog geschaffen. Auf nationaler Ebene gibt das Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die Richtung vor.
In diesem Jahr erwarten wir weitere richtungsweisende politische Impulse in Sachen Sustainable Finance, sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene. So wird die EU-Kommission eine neue Sustainable Finance-Strategie vorlegen. Unklar ist, ob auch neue Regulatorik folgt. Zudem wird die deutsche Bundesregierung auf Basis der Empfehlungen des von ihr einberufenen Sustainable Finance-Beirates noch im ersten Halbjahr dieses Jahres eine nationale Sustainable Finance-Strategie vorlegen.
Man sieht: Es tut sich viel und bleibt spannend! Wichtig ist aber, dass sich die Regulatorik am Prinzip der Wesentlichkeit ausrichtet und dass – bei aller Notwendigkeit und Dringlichkeit – ausreichend Zeit für die Umsetzung eingeräumt wird.
Wie können betroffenen Finanzakteure nun konkret handeln, um sich vorzubereiten?
Mica Valdivia: Wie vorhin gesagt, birgt das Thema Nachhaltigkeit und Sustainable Finance – beziehungsweise die Ausrichtung von Finanzinstitutionen an Nachhaltigkeitszielen wie den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen oder den Sustainable Development Goals (SDGs) – große Herausforderungen, sowohl in operativer Hinsicht, als auch finanziell. Aber Sustainable Finance kann eben auch als Orientierungsrahmen verstanden werden, um das eigene Geschäftsmodell strategisch und zukunftssicher aufzustellen. Damit dies gelingt ist eines essentiell, was ich eingangs schon erwähnt hatte: Nachhaltigkeit muss Chefsache sein! Nur so kann eine ganzheitliche Transformation der eigenen Organisation gelingen.
Gibt es etwas, das Politik Ihrer Meinung nach noch dafür tun muss, um die Finanzwelt pragmatisch nachhaltiger zu gestalten?
Mica Valdivia: Eine solide Datenbasis ist der Grundstein für eine erfolgreiche, systematische Integration von Nachhaltigkeit und einer entsprechenden Ausrichtung der Geschäftsmodelle. Als unabdingbare Grundlage für einen erfolgreichen Transformationsprozess sollte der Aufbau einer europäischen Rohdatenbank für Nachhaltigkeitsdaten erfolgen.
Ein anderer wichtiger Aspekt: Es müssen ausreichend nachhaltige realwirtschaftliche Projekte und Vorhaben existieren. Das ist aktuell leider noch nicht der Fall. Eine stärkere wirtschaftspolitische Flankierung der Sustainable Finance Regulierung, welche Unternehmen darin unterstützt, sich zukunftssicher auszurichten und entsprechende Investitionen der Wirtschaft fördert, ist essentiell. Klar ist: Ohne eine Transformation der Realwirtschaft kann es keine Transformation der Finanzwirtschaft geben!
Was tut der VÖB konkret für die Nachhaltige Transformation?
Mica Valdivia: Unser größter Hebel als Verband in Sachen Nachhaltigkeit ist die Möglichkeit, die Rahmenbedingungen für die Transformation der Wirtschaft aktiv mitzugestalten und unsere Mitglieder bestmöglich in diesem Prozess zu begleiten. Wir sehen in dieser Multiplikatorenfunktion unsere Kernverantwortung in Sachen Nachhaltigkeit und Sustainable Finance.
Natürlich achten auch wir im VÖB auf eine nachhaltige Praxis im Alltag, so sind wir auf dem Weg zum „papierlosen Büro“ und versuchen, den Großteil der Kommunikation zu digitalisieren. Gleichzeitig haben wir auch schon vor Corona damit begonnen, verstärkt auf Videokonferenzen zu setzen und Dienstreisen zu reduzieren.
Welche Chancen sehen Sie in der nachhaltigen Transformation des Finanzsektors?
Mica Valdivia: Die konsequente Integration von Nachhaltigkeit mit ehrgeizigen und klaren Kennzahlen und Zielvorgaben sowie einer entsprechenden Anpassung und sukzessiven Ausweitung der Produktpalette ist ein zentraler Wettbewerbsfaktor und damit auch Zukunftssicherung für Banken. Wenn man als glaubwürdiger Partner die Herausforderungen seiner Kunden versteht und durch ein entsprechendes Produktangebot begleitet, werden Kundenbindungen aufrechterhalten oder neu etabliert.
Wie kann Sustainable Finance effizient umgesetzt werden bzw. wie gelingt ein Mainstreaming?
Mica Valdivia: Die öffentlichen Banken setzen einen Schwerpunkt im Bereich Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Hierzu gibt es bereits erste Best Practice Beispiele unter den Mitgliedern, wie die Konzeption der „Blauen Nachhaltigkeit“ der DKB. Aber auch eigene Projekte des Verbandes können wir herausstellen, wie beispielsweise ein Pilotprojekt zur Umsetzung der Taxonomie-Verordnung auf Basis einer KI-Lösung. Wir sind überzeugt, dass die systematische Integration von Nachhaltigkeit vor allem über Digitalisierung effizient erfolgen wird. Auf dieses Thema legen wir aktuell einen besonderen Fokus.
Was ist bei der Kommunikation von Nachhaltigkeit besonders wichtig? Was sind No-Gos?
Mica Valdivia: Kommunikation ist beim Thema Nachhaltigkeit natürlich extrem wichtig. Aber sie muss glaubwürdig und authentisch sein, sprich: Worte und Taten dürfen nicht auseinanderfallen. Deshalb sollten Unternehmen und Organisationen die großen Herausforderungen – und teils auch Unwägbarkeiten oder Zielkonflikt – die mit der Integration von Nachhaltigkeit in die bestehenden Geschäftsprozesse verbunden sind, annehmen und offen kommunizieren.
In der Kommunikation mit seinen Stakeholdern ist es zudem sinnvoll, zeitlich definierte strategische Ziele klar zu formulieren. So gibt man seinen Kunden, Partnern, Politik und weiteren Gesprächspartnern einen klaren Rahmen. Um das Thema anfassbarer zu machen und als Ergänzung zum generellen Nachhaltigkeitsdialog ist es zudem sinnvoll, Best Practice Beispiele herauszustellen und aktiv zu kommunizieren. Das hat oft auch einen positiven Abstrahleffekt auf andere Marktakteure.
Das könnte Sie auch interessieren:
Abonnieren Sie unseren Newsletter!
Tragen Sie sich ein und erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu:
- Aktuellen ESG-Themen und Gesetzesänderungen
- Best Practices aus den Bereichen ESG und nachhaltige Lieferketten
- News zu VERSO
- Sustainability Events uvm.